Die langen Schatten der Vergangenheit



Grußwort vom Geschäftsführer des Zentralrats Daniel Botmann bei der Konferenz der Bildungsabteilung zum Thema: Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit

Fotos: Uwe Steinert

Anrede,

für den 04. und 05. Oktober 2018 war sowohl für die Stadt Magdala als auch Apolda in Thüringen ein Rechtsrockkonzert als politische Versammlung bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Tausende Neonazis aus Deutschland und sogar dem europäischen Ausland wurden hierzu erwartet.

Das Konzert war als Ersatz für das im thüringischen Mattstedt geplante Konzert gedacht. Hier war es der Gemeinde jedoch gelungen, das rechtsradikale Spektakel in letzter Sekunde zu verhindern. Und zwar, indem man die Absage des Rechtsrock-Konzertes, die einer juristischen Begründung schließlich Stand hielt, mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen begründete.

Rechtsrock-Konzerte sind deutschlandweit ein Problem. Gerade Thüringen entwickelt sich jedoch auch aufgrund der geographischen Lage schon seit Jahren geradezu zu einem Mekka der Rechtsrock-Szene.

Vielen von Ihnen ist sicherlich der Ort Themar ein Begriff. Themar war 2017 wegen eines der bundesweit größten Konzerte dieser Art mit dem unmissverständlichen Titel „Rock gegen Überfremdung“ zu trauriger Berühmtheit gelangt. Rund 7.000 Neonazis kamen 2017 nach Themar. Dort fand das bislang größte Rechtsrock-Festival auf deutschem Boden seit Ende des Zweiten Weltkrieges statt. Tausende Nazis grölten dort. Viele zeigten den Hitlergruß. Eine einzige rassistische, antisemitische und hasserfüllte Orgie.

Rechtsrock-Konzerte sind deshalb so wichtig für die Szene, weil sie eine willkommene Einnahmequelle für inzwischen europaweit vernetzte Rechtsextremisten darstellen. Allein in Themar, so Schätzungen der Mobilen Beratungsstelle Thüringen, dürfte 2017 ein sechsstelliger Betrag in die Kassen der Veranstalter geflossen sein.

Aus juristischer Perspektive ist das Problem, dass Rechtsrock-Konzerte von den Veranstaltern üblicherweise als politische Kundgebung angemeldet werden und deshalb unter dem grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit stehen.

Der Versuch der thüringischen Landesregierung, das rechte Treiben in Magdala mit scharfen Auflagen zu ver- bzw. behindern, wurde gar vom Thüringer Oberverwaltungsgericht verhindert, in dem dieses zum Entsetzen nicht nur der Landesregierung fast alle Auflagen ablehnte.

 

 

Mit seinem Beschluss bestätigte das Oberverwaltungsgericht eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Weimar mit der Begründung, dass in der Kürze der Zeit angeblich keine genaue Prüfung konkreter Gefahren möglich sei. Hierfür machte das Gericht kurzerhand die Behörden verantwortlich. Wieder einmal wurde der Kampf gegen rechts der Politik und der Zivilgesellschaft überlassen.

Im Ergebnis kam es schließlich dazu, dass das Rechtsrock-Konzert aufgrund gewalttätiger Ausschreitungen der Teilnehmer in Apolda aufgelöst werden musste. Die Polizei stieß nach eigenen Angaben bei der Räumung des Platzes auf massive Gegenwehr der Rechtsextremen.

So sieht er aus, der Rechtsstaat? So sieht sie aus, die wehrhafte Demokratie?

Meine Damen und Herren, die grundgesetzlich garantierten Grund- und Freiheitsrechte stehen selbstredend nicht zur Disposition.

Darüber sind wir uns sicher alle einig. Sie dürfen auch im Kampf gegen Extremismus jeglicher Couleur nicht zur Disposition gestellt werden.

Was aber geschehen muss, ist, dass unser Rechtsstaat all jene Mittel ausschöpft, die unsere Demokratie bewahren und den Fortbestand des Rechtsstaats garantieren.

Wenn uns die Ergebnisse des Rosenburg-Projektes eines gelehrt haben, dann doch dies:

Die Denkfigur von „unpolitischen Beamten“, wonach diese lediglich passiv ausführen, was ihnen je nach politischer Vorgabe vorgegeben wird, und gleichsam vom jeweiligen „Regime“ oder „System“ völlig unbeeinflusst agieren, ist brandgefährlich für die Demokratie und den Rechtsstaat!

Ein solches Berufsbild von Juristen würde negieren, dass diese im staatlichen Gefüge sehr wohl eine zentrale Rolle ausüben, dass sie eben nicht nur „Techniker der Macht“ sind, sondern dass sie mit ihrem Handeln unmittelbare Verantwortung tragen, weil Politikberatung und Politiknähe zu den Kernaufgaben von Ministerialverwaltungen gehören, wie die Professoren Görtemaker und Safferling in ihrer Publikation „Die Akte Rosenburg“ zutreffend herausgearbeitet haben.

Und, meine Damen und Herren, auch für Juristen muss angesichts ihrer Aufgabe, das Recht zu schützen, in besonderem Maße gelten, was Viktor Hugo einst formulierte:

Wissen und Gewissen sind die nicht wegdenkbaren Eigenschaften der Justiz. Form und Inhalt von Gesetzen sind untrennbar miteinander verbunden.

Dies muss eine der zentralen Lehren aus dem Nationalsozialismus sein, an der sich Juristinnen und Juristen täglich in ihrer Arbeit und ihren Entscheidungen messen lassen müssen.

In einer Zeit, in der sich viele mehr oder weniger offen, immer noch oder schon wieder nach dem viel zitierten Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit sehnen – ich erinnere hier an die unsäglichen Ausführungen von Björn Höcke, dem AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, von der angeblich notwendigen erinnerungspolitischen 180-Grad-Wende –, in dieser Zeit führt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine offene, transparente und öffentliche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.

Für alle sichtbar steht vor uns das, was einst der Schriftsteller Ralph Giordano in seiner 1987 veröffentlichten Schrift als „Zweite Schuld“ bezeichnet hat.

Die sogenannte „zweite Schuld“ meint die Weigerung breiter Teile der deutschen Öffentlichkeit zu einer Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen.

Das Versagen der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen ist offensichtlich und nicht zu beschönigen. Erst mit großer Zeitverzögerung wurden die Nazi-Täter zur Rechenschaft gezogen – und das ganz und gar unzureichend. Unerträgliche Nachsichtigkeit zeigte sich auch in den Strafverfahren selbst.

Die sogenannte „kalte Amnestie“ für unzählige Nazi-Täter, deren Verbrechen nie aufgeklärt wurden, bleibt aus meiner Sicht einer der größten Skandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Durch sie wurden Zehntausende von sogenannten Schreibtischtätern schlagartig von jeder Strafverfolgung befreit.

1968 passierte den Bundestag ein scheinbar harmloses, in Wahrheit aber ungeheuerliches Gesetz. Es führte mit einem Schlag zu einer Generalamnestie der meisten Verbrecher des Nazi-Regimes: Deren Taten galten nunmehr rückwirkend als verjährt.

 

Und das, während die umfangreichsten Ermittlungen gegen die Täter des "Dritten Reiches" geführt wurden, das Verfahren gegen das Reichssicherheitshauptamt. Elf Staatsanwälte, 150.000 Aktenordner, ein Riesenverfahren, und draußen Studentenproteste. Und was geschah im Justizministerium?

Da schrieb der Leiter der Strafrechtsabteilung Eduard Dreher ein Gesetz mit dem harmlosen Namen Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz, kurz EGOWiG. Im Bundestag kapierte das niemand, es wurde darüber nicht einmal debattiert. Damit fand das Reichssicherheitshauptamtsverfahren ein abruptes Ende.

Beihilfe zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen war fortan zum 9. Mai 1960 verjährt.

Verantwortung wurde also über Jahrzehnte hinweg negiert – Schuld nicht thematisiert. Eine Mauer des Schweigens, der Lügen und des Verdrängens wurde errichtet, in deren Schatten alte Nazis in Funktionen der Staatsverwaltung, der Justiz und auch der Polizei zurückkehrten.

Es ist nicht nur, aber auch ein Verdienst des Rosenburg-Projekts, dass diese Thematik heute – und man muss sagen endlich – auch in der Öffentlichkeit die Beachtung erhält, die sie verdient.

Meine Damen und Herren, heute treffen wir uns hier, um mit dieser Konferenz den Blick sowohl zurück als auch nach vorn zu richten. Wir wollen ganz bewusst auch den Blick darauf lenken, was der Blick zurück für das Hier und Heute bedeutet.

Hat man einmal verstanden, wie groß die Kontinuitäten der sogenannten „furchtbaren Juristen“ sind und waren, so muss man auch die Frage stellen, welche – wenn heute auch nicht mehr existierenden personellen – aber durchaus noch vorhandenen inhaltlichen Kontinuitäten in Gesetzestexten und Kommentaren heute noch den Geist derer atmen, die seinerzeit nur allzu leichtfüßig den Systemwechsel vom NS-Staat in die bundesrepublikanische Wirklichkeit geschafft haben.

Heute, in einer Zeit, in der sich viele mehr oder weniger offen, immer noch oder schon wieder nach dem viel zitierten Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit sehnen, ist die offene, transparente und öffentliche Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit von enormer Wichtigkeit. Es ist daher unerlässlich, dass wir diese Debatte in die Öffentlichkeit tragen.

Heute müssen wir uns die Frage stellen:

Ist unsere Demokratie wehrhaft genug? Ist der Rechtsstaat heute willens und in der Lage, seinen Fortbestand zu garantieren?

Sie, sehr verehrte Frau Bundesministerin, haben in einem Tweet zu dem grauenhaften Anschlag auf die Synagoge in Pittsburgh, bei dem elf Menschen in einer Synagoge erschossen wurden, getwittert:

„Hass in Worten führt irgendwann zu Gewalt. Die schrecklichen Morde von Pittsburgh sind eine Warnung, wozu es führt, wenn Sprache immer radikaler wird.“

Diese Sprache haben wir aber auch hier in Deutschland. Auf den Straßen, im Netz, nach der Wahl in Hessen nunmehr auch in allen Länderparlamenten in Deutschland. Wir sind weit über die Anfänge hinaus! Weit!

Deshalb komme ich zurück auf meine Schilderung zu den Vorgängen um die Rechtsrock-Konzerte in Thüringen.

Wenn es nicht gelingt, durch- und umzusetzen, dass sich der Rechtsstaat seiner Feinde wehrt, dann, meine Damen und Herren, dann stehen wir am Abgrund.

Wer heute nach der Zivilgesellschaft ruft, der muss auch staatlicherseits garantieren, dass diese beim Kampf um Demokratie und Rechtsstaat nicht alleine steht. Hier sind alle gefordert, Politik, Öffentlichkeit und auch, ich betone es, auch die Justiz.

Es muss viel entschiedener gehandelt werden. Es muss mehr Kreativität und Entschlossenheit an den Tag gelegt werden. Und ich fürchte, meine Damen und Herren, es muss auch mehr Bildung und Bewusstsein bei Juristinnen und Juristen geschaffen werden.

Bewusstsein dafür, wohin Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit führen, wenn ihnen nicht durch aktives Handeln entgegengetreten wird.  

Dazu leistet das Rosenburg-Projekt einen unschätzbaren Beitrag. Dazu trägt hoffentlich auch diese Tagung bei. Dazu wünsche ich der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher.

Ich wünsche uns allen hier Kraft, Engagement und die Fähigkeit, Brücken zueinander zu bauen, um vereint gegen Antidemokraten jeglicher Couleur entgegenzutreten.

Wir werden sie, fürchte ich, brauchen.

 

Konferenz der Bildungsabteilung vom 07.-09. November 2018 in Berlin

 

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