Laudatio von Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble



Der Leo-Baeck-Preis wird an Menschen verliehen, „die sich zum einen in herausragender Weise für die Jüdische Gemeinschaft eingesetzt haben und denen es zum anderen gelungen ist, aus den dunklen Kapiteln Deutscher Geschichte Lehren für die Zukunft zu ziehen". In der Reihe bedeutender Träger des Leo-Baeck-Preises ist Theo Zwanziger der Erste, dessen Wirken hauptsächlich in den Bereich des organisierten Sports fällt. Und das hat guten Grund. Wie kaum ein anderer hat Theo Zwanziger begriffen, welch große gesellschaftliche Bedeutung und Verantwortung der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Besonderen haben. Und wie kein Zweiter, der über große Verantwortung und Gestaltungsmacht im organisierten Sport verfügt, hat er aus dieser Erkenntnis Konsequenzen für sein konkretes Handeln und für die Ausrichtung seines so wichtigen Verbandes gezogen. Man muss sich vor Augen führen, wie viele Menschen der Fußball in seinen Bann schlägt - Millionen als aktive, vom Jugendlichen bis zum Nationalspieler oder zum Freizeitkicker – zig Millionen als Zuschauer in Stadien und im Fernsehen. Und dann begreift man, welche Chancen darin liegen, dass dieser Fußball sich für Integration und gegen Vorurteile, gegen Antisemitismus und Rassismus, für Fair Play und Toleranz gegen Gewalt tatkräftig und beharrlich engagiert.

Da kann die Politik in Bund und Ländern sich lange mühen, dass muss sie tun und das tut sie auch – aber die Wirkung von Aktionen im Fußball, der Nationalspieler und der bewunderten und geliebten Stars auf viele Fans wird sie schwer erreichen. Und dafür hat sich keiner persönlich mehr engagiert als Theo Zwanziger. Seit er 1992 Vorstandsmitglied im Deutschen Fußballbund wurde, hat er sich dafür eingesetzt, als Beauftragter für soziale Integration des DFB, als Vorsitzender des Kuratoriums der Egidius-Braun-Stiftung, als Schatzmeister und als Präsident.

Wir hatten schon Anfang der 90er Jahre spezielle Programme im und durch den Sport, um die damals große Zahl von Spätaussiedlern in unsere freiheitliche Gesellschaft gut zu integrieren. Und der Fußball hat nicht gezögert, wenn es in den zurückliegenden Jahren immer wieder galt, gegen Ressentiment, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt Gesicht und Flagge zu zeigen. Wir alle, selbst diejenigen, die vielleicht nicht ganz fußballverrückt sein sollten, erinnern uns an das Sommermärchen bei der Weltmeisterschaft 2006. Es hat in der Geschichte kein Ereignis gegeben, in der größere Breitenwirkung im Kampf gegen ausländerfeindliche Ressentiments erzielt wurde. Aber wir hatten 2006 auch noch die Fußballweltmeisterschaft von Menschen mit Behinderungen, für die sich der DFB machtvoll engagiert hat und die eine bis dahin nie gekannte Resonanz der Zuschauer und in den Medien gefunden hat. Auch die hat mehr Wirkung gegen spezifische Vorurteile erzielt als das allermeiste, was es bis dahin gegeben hat.

Der DFB hat heute einen Integrationsbeauftragten und eine eigene Arbeitsgruppe zum Bereich Rassismus und Diskriminierung. Er setzt sich bewusst und gezielt gegen die unter Fans leider weit verbreitete, bis vor kurzem tabuisierte Homophobie und für die aktive Toleranz gegenüber homosexuellen Sportlern und Fans ein. Das alles ist Präventionsarbeit für Toleranz und gesellschaftlichen Zusammenhalt, daran und an vielem mehr hat Theo Zwanziger ganz maßgeblichen Anteil. Er weiß, dass Vorurteile und Diskriminierung der Anfang vom Ende gewesen sind, und deshalb hat er folgerichtig den Deutschen Fußballbund dazu gebracht, sich dem Unrecht und Missbrauch des deutschen Sports in der Finsternis des Nationalsozialismus zu stellen. Nachdem die Ergebnisse des vom Deutschen Fußballbund in Auftrag gegebenen historischen Gutachtens an „Fußball unterm Hakenkreuz" vorlagen, hat der DFB den Julius-Hirsch-Preis gestiftet. Julius Hirsch war einer der talentiertesten deutschen Fußballspieler der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, der mit seinem Verein, dem Karlsruher SV, und später mit der SpVGG Fürth geführt deutscher Meister wurde und mehrfach in der deutschen Nationalmannschaft spielte. 1933 wurde er, wie alle Juden, auf Beschluss des DFB aus seinem Verein gedrängt. Es folgten Jahre der Demütigung und Entrechtung, die mit der Deportation nach Auschwitz endete. Im Centrum Judaicum war 2006 die Ausstellung „Kicker, Kämpfer, Legenden – Juden im deutschen Fußball" zu sehen, in der das Schicksal Hirschs und vieler anderer dokumentiert war. Mit der Stiftung dieses Preises wollte der DFB ein öffentliches Zeichen für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen setzen, und er hat seine Mitgliedsverbände und Vereine, seine mehr als sechs Millionen Spieler, Trainer, Funktionäre und besonders die Jugend in seinen Reihen aufgefordert, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen auf dem Fußballplatz, im Stadion und in der Gesellschaft zu stellen.

Das macht gute Schule. In diesem Jahr wurde der Preis an die Gruppe „Löwenfans gegen Rechts" verliehen. Das Beispiel der Preisträger zeigt, wie Veränderungen möglich sind – gerade durch zivilgesellschaftliches Engagement von unten, in diesem Fall von Münchner Fußballfans, die nicht mehr bereit waren, den regelmäßigen rassistischen Schmährufen gegen farbige Fußballspieler in ihrem Stadion tatenlos zuzusehen. Der Initiator, Herbert Schröger, ist selbst seit 37 Jahren Fan von 1860 München. Mit einem Transparent, das während des Spiels hochgehalten wurde, fing es an. Dann kamen Flugblätter und ein regelmäßiger Stammtisch hinzu. Inzwischen gibt es immer wieder verschiedene Aktionen, Veranstaltungen und Ausstellungen im Umfeld des Münchner Vereins. Zwar sind noch nicht alle rechtsextremen Fans verschwunden, aber das Klima im Stadion hat sich verändert, seit der rechtsextremen Minderheit deutlich gemacht wurde, dass ihr Verhalten nicht akzeptiert oder einfach hingenommen wird.

Aus den dunklen Kapiteln deutscher Geschichte Lehren für die Zukunft zu ziehen, das ist das Anliegen von Theo Zwanziger und das ist das Anliegen des Leo-Baeck-Preises. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ehrt in Theo Zwanziger einen vorbildlichen Verantwortungsträger, nicht nur im Sport, sondern in unserer freiheitlichen Gesellschaft insgesamt. Theo Zwanziger hat ein klarsichtiges Verständnis der gesellschaftlichen Dimension des Sports in Vergangenheit wie Gegenwart, und er hat eine entschiedene und kompromisslose Haltung gegenüber bedenklichen und gefährlichen Tendenzen, die es auch in der heutigen Fußballkultur gibt. Wir sollten bei all dem nicht vergessen, dass es ihm natürlich immer auch um das Fußballspiel selbst geht. Gerade weil er diesen Fußball so liebt und jeder, der ihn kennt, das weiß, kann er seine gesellschaftlichen und politischen Visionen im DFB so überzeugend vertreten. Es ist die tiefe Liebe zu diesem wunderbaren Sport, von dem er übrigens deshalb auch ganz zu Recht findet, er könnte von Frauen ebenso gut wie von Männern ausgeübt werden.

Mens sane in corpore sano, sagten die alten Römer – in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. In dieser Formel steckt die Erkenntnis, dass beides zusammengehört – die körperliche Ertüchtigung und eine geistige und moralische Haltung, die ihr entspricht. Beides muss im Sport zusammenkommen, beides kann aber auch im Sport zusammenfinden. Theo Zwanziger hat wie wenige andere dafür getan, dass dieser Zusammenhang erkannt und ernst genommen wird, und er setzt diese Einsicht fortwährend in die Praxis um.

 

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