Trauerfeier und Bestattung gefundener Knochen



Rede Daniel Botmann, Geschäftsführer Zentralrat der Juden in Deutschland, auf der Trauerfeier und Bestattung gefundener Knochen auf dem Gelände des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts auf dem Waldfriedhof Dahlem am 22. März 2023.

Es gilt das gesprochen Wort!

 

[Anrede]

 

Ich möchte heute meine Trauer nicht nur im Namen des Zentralrats und der jüdischen Gemeinden in Deutschland zum Ausdruck bringen. persönlich als jemand, der sich der Bedeutung einer würdevollen Beisetzung aller Opfer menschenverachtender Verbrechen bewusst ist.

 

Der Dahlemer Fund menschlicher Knochen unweit des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, sowie die Frage, ob es sich hierbei auch um die menschlichen Überreste von Juden, die während der Schoa ermordet wurden, haben die jüdische Gemeinschaft sehr bewegt.

 

Ich danke allen heute hier anwesenden Trauergäste - Sie wirken daran mit, dass die Geschichten der Opfer weiter - oder gar zum ersten Mal erzählt werden. Unsere Trauer von heute über die Verbrechen der Vergangenheit erschafft die kollektiven Gedenkorte von Morgen.

 

Die inhumane Praxis des Forschungsrassismus sah für die Überreste keine Bestattung vor und warf sie in Gruben. Heute tragen wir zahlreiche Leben, deren Stimmen und Biografien ausgelöscht wurden, zu ihrer letzten Ruhestätte.

 

Auschwitz als Herkunftsort einzelner Knochen ist nicht auszuschließen, doch ebenso weisen die Untersuchungen der Funde auch in Richtung kolonialer Vergangenheit und rassenpolitischer Gewalt. Die genaue einzelne Herkunft bleibt ungewiss.

 

Wir lehnen eine weitere Ausdifferenzierung der Knochenfunde nach bestimmten Gruppen ab. Wir wollen und werden die rassistische Methoden und Denkmuster der Vergangenheit nicht mehr reproduzieren. Sie dienten lange genug der „wissenschaftlichen“ Legitimation mörderischer nationalsozialistischen Rassenpolitik.

 

Es gilt: ‚Opfer sind Opfer‘. Unsere Trauer fragt nicht nach Herkunft, Konfession und Zugehörigkeit, sondern steht im Zeichen der Solidarität. Einer Solidarität nicht nur der Mehrheitsgesellschaft gegenüber betroffenen Minderheiten, sondern der Opfergruppen und Verbände untereinander. Stigmatisierung und Verfolgung von Minderheiten, sagen nichts über uns, über ihre Opfer, aus, sondern ausschließlich über die Täter. 

Unsere- die Bedürfnisse der betroffenen Opferverbände, sind mit dem eigentlichen Anliegen der Wissenschaften eng verwandt: Wissen hervorzubringen und es zu bewahren.

 

„Die ehrlichste Art der Entschuldigung ist die Offenlegung der Schuld,“ sagte schon Hubert Markl, der frühere Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.

 

Unsere Bedürfnisse wurden gehört, die Grabungen abgebrochen und diese Zeremonie ermöglicht. Gelebte Erinnerungskultur im Hier und jetzt bedeutet nämlich auch, dass wir, die direkten und indirekten Nachkommen, ein Mitspracherecht im Umgang mit den Überresten der Opfer haben. Dafür und für die unermüdliche Arbeit, möchte ich jedem Einzelnen, jedem engagierten Experten und jeder engagierten Expertin der FU, des Max-Planck-Instituts und des Landesdenkmalamtes, danken.

 

Sie haben die historische Verantwortung angenommen über die Verbrechen aufzuklären, die auf dem Gelände der FU unter dem Deckmantel der Wissenschaft ausgeführt wurden. Verbrechen, die nicht irgendwo außerhalb der zivilisierten Welt, sondern hier, inmitten der Gesellschaft geschahen.

 

Ich appelliere an Sie, machen Sie die heute begrabenen Menschen nun wieder sichtbar, dort, wo die Mehrheitsgesellschaft forscht und sich bildet. Verankern sie ihre Geschichten fest im Lehrplan und lassen Sie sie den lebendigen Diskurs fließen.

 

Denn, es ist nicht damit getan, ein Stück Land in einen Friedhof zu verwandeln, der Friedhof muss erhalten werden. Er ist ein eigener Kulturkosmos, der von der Gegenwart nicht unberührt bleibt, im Gegenteil.

 

Es geht im Grunde darum, wir in Zukunft gemeinsames Gedenken organisieren:

 

Hat die Mehrheitsgesellschaft Respekt für unsere Lage Geschichte und Tradition?

 

Wird jüdische Geschichte, die Geschichte der Sinti und Roma, der ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika, an den Schulen und in den Universitäten ausreichend gelehrt?

 

Werden wir in unserer Vielfalt und unserem kulturellen Reichtum wahrgenommen und gewürdigt?

 

Wir werden auf diese Fragen und auf viele mehr nur gemeinsam Antworten finden. Heute war ein guter Tag für diesen Prozess. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

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