"Wir brauchen heute Vorbilder mehr denn je"



Foto: Christian Rudnik

Laudatio von Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster zur Verleihung des Simon-Snopkowski-Ehrenpreises an den Bayerischen Rundfunk, München, 28.9.2016

Anrede,

wer in diesem prächtigen Saal sitzt, dessen Blick schweift automatisch zu den großen Wandteppichen und zur reichverzierten Decke. Und mich fasziniert es immer wieder – das geht mir in der Würzburger Residenz nicht anders – dass sich die Königshäuser bzw. Fürstbischöfe nicht mit ideenlosem Protz und Prunk umgaben. Sondern dass sie gerne der Mode folgten und die Künstler damit beauftragten, antike Helden oder Tugenden abzubilden.

Das war sicher clevere PR. Das war mitunter bestimmt die Überzeugung, diesen Helden ebenbürtig zu sein. Vielleicht redete manchmal aber auch das Gewissen mit, als Herrscher Tugenden wie Weisheit und Tapferkeit zu verkörpern.

Sicherlich sahen sich die damals Herrschenden als Vorbilder. Ob sie es immer waren, will ich heute Abend mal dahingestellt sein lassen.

Eines aber steht fest: Vorbilder und Tugenden sind nie aus der Mode gekommen. Wir brauchen sie heute noch. Vielleicht sogar mehr denn je.

Und deshalb freue ich mich sehr, dass wir heute Menschen ehren, die zum Vorbild taugen und die ihre Tüchtigkeit bewiesen haben – denn das Wort „Tugend“ bedeutet eigentlich nichts anderes als Tüchtigkeit.

Lieber Herr Wilhelm,

bevor ich mich Ihrem Sender als Ehrenpreis-Träger zuwende, will ich doch auch kurz die anderen Preisträger würdigen.

Sie werden das sicher verstehen: Für mich ist es immer die größte Freude, wenn junge Menschen sich mit dem Judentum beschäftigen. Ganz im Sinne meines verehrten Vorgängers an der Spitze des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, im Sinne von Simon Snopkowski sel. A., bauen diese jungen Menschen Brücken.

Brücken zwischen der jüdischen und der nicht-jüdischen Welt. Brücken zwischen damals und heute, zwischen den Generationen.

Liebe Schülerinnen und Schüler der Dietrich-Bonhoeffer-Realschule in Neustadt an der Aisch, des Dossenberger-Gymnasiums in Günzburg und der Willi-Ulfig-Mittelschule in Regensburg – ich gratuliere euch und auch euren Lehrern ganz herzlich zu dem Preis und zu eurer tollen Arbeit! Ihr seid Vorbilder für andere Schüler – und mit Sicherheit auch für Erwachsene!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

der Simon-Snopkowski-Ehrenpreis wird in diesem Jahr zum vierten Mal verliehen. Zum ersten Mal aber nicht an eine prominente Persönlichkeit, sondern an eine Institution, einen prominenten Sender, den Bayerischen Rundfunk.

Ich gratuliere Ihnen, sehr geehrter Herr Wilhelm, als Intendanten des Senders, zu diesem Preis. Und der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition und dem bayerischen Kultusministerium gratuliere ich zur Wahl des Preisträgers!

Uns allen ist bewusst: Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist auf Werbeeinnahmen und damit auf hohe Einschaltquoten angewiesen. Dokumentationen über jüdisches Leben oder politische Analysen des Nahostkonflikts finden zwar ihr Nischenpublikum und erzeugen gerne viele Kommentare auf den Online-Seiten, aber Quotenknüller sind sie nun gewiss nicht.

Wenn sich daher ein großer Sender wie der Bayerische Rundfunk entscheidet, regelmäßig solchen Themen attraktive Sendeplätze einzuräumen, ja einen eigenen Themenschwerpunkt mit mehr als 20 Beiträgen zum jüdischen Leben in Bayern zu produzieren, dann ist das eben keine Selbstverständlichkeit.

Wie kann das friedliche Miteinander der Religionen in unserem Land gelingen? Was unterscheidet eigentlich die Religionen und was haben sie gemeinsam? Mit diesen hochaktuellen Fragen setzt sich der Bayerische Rundfunk auseinander und mutet sie zum Glück auch seinen Hörern und Zuschauern zu. Daher freue ich mich, dass heute der Bayerische Rundfunk mit dem Simon-Snopkowski-Ehrenpreis ausgezeichnet wird. Der Sender hat diesen Preis wirklich verdient!

In ganz unterschiedlichen Formaten greift der BR im Fernsehen und im Radio Themen des jüdischen Lebens auf. Und dabei geht es eben nicht immer nur um die Schoa oder um Gedenkfeiern. Nein, auch das aktuelle moderne jüdische Leben wird abgebildet. Das schätze ich ganz besonders. Bei uns zu Hause ist es übrigens üblich, freitags um 15.05 Uhr Bayern 2 einzuschalten, um die Sendung „Schalom“ zu hören. Wir erfahren dort immer wieder Dinge aus unserer jüdischen Gemeinschaft, die wir bisher nicht wussten. Und meine Frau, die während der Vorbereitung des Schabbat-Essens gerne die Sendung hört, sagt, dass für sie mit der Tora-Auslegung am Schluss der Sendung immer schon ein wenig der Schabbat anfängt.

Auch in ungewöhnlichen Formaten werden die zugegeben manchmal etwas sperrigen religiösen Themen nicht ausgespart. So wurde ich in der Sendereihe „Begegnungen“ gemeinsam mit dem Schwimmweltmeister Thomas Lurz interviewt. Dabei ging es zum Beispiel um die Frage, wie man Ziele im Leben erreicht. Ein Thema, das man aus religiöser Sicht, aber natürlich auch aus sportlicher Sicht beleuchten kann. Auf diese Weise wurde das Judentum, das vielen Menschen immer noch fremd ist, ganz locker den Hörern näher gebracht.

Und genau darum geht es doch im Kern – um Verständnis und Verständigung. Was wir heute hingegen in der Bevölkerung vor allem spüren, ist eine große Verunsicherung. Die Einwanderungsgesellschaft, die vielen Religionen und Weltanschauungen, neue Familienformen, die Globalisierung und nicht zuletzt der Zuzug so vieler Flüchtlinge im vergangenen Jahr – all dies verwirrt nicht nur, ja es überfordert viele Menschen.

Das möchte ich auch niemandem vorwerfen. Sind wir doch selbst oft genug ratlos und erschüttert, wenn Ereignisse passieren wie der Amoklauf in München oder das Axt-Attentat im Zug bei Würzburg. Wie schnell wünscht man sich die vermeintlich heile Welt von früher zurück.

Daher ist der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtiger denn je. Nach wie vor werden über Radio und Fernsehen Millionen von Menschen erreicht. Wir müssen diese Massenmedien nutzen, um aufzuklären, um gesellschaftliche Veränderungen zu erklären und Wissen zu vermitteln. Das ist beileibe keine einfache Aufgabe. Auch für die Medien ist die Lage oft unübersichtlich. Sie müssen eine Schneise schlagen durch eine Flut von Nachrichten und Bildern, die über die sozialen Medien in Windeseile verbreitet werden. Sie müssen falsch von richtig unterscheiden und in immer kürzerer Zeit diese Abwägungen treffen.

Das ist nicht leicht. Und manchmal passieren auch Fehler. Das ist nur allzu menschlich.

An dieser Stelle komme ich daher nicht umhin, auch eine kritische Bemerkung zum Bayerischen Rundfunk zu machen. Jüngst wurde in der Tagesschau ein Fernsehbeitrag zur Wasserpolitik Israels ausgestrahlt. Leider kennen wir die Dramaturgie solcher Beiträge auch von vielen anderen Fernsehsendern: Die Palästinenser sind stets die wehrlosen Opfer, Israel ist der Aggressor. Viele Journalisten haben von vorneherein diese Brille auf, wenn sie für ihre Beiträge recherchieren. Die israelische Seite kommt dann gar nicht zu Wort oder nur extrem regierungskritische Kreise, die diese Perspektive bestätigen.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es geht mir nicht darum, Israel unkritisch in den Himmel zu loben. Es geht mir um einen fairen Umgang und um einen objektiven Blick auf Israel. Deutschland und auch die Medien in Deutschland haben eine besondere Verantwortung für den jüdischen Staat. Das scheint leider zunehmend in den Hintergrund zu rücken. Ich möchte es gerne heute Abend in Erinnerung rufen.

Dass es anders geht, hat der frühere Israel-Korrespondent des BR, Richard C. Schneider, in seinen Beiträgen bewiesen. Er war übrigens auf beiden Seiten wohl gelitten, auf der israelischen und der palästinensischen. Das zeigt, dass auch die Menschen im Nahen Osten selbst eine faire Berichterstattung schätzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ein solcher Beitrag wie der von mir erwähnte Film in der Tagesschau schmälert in meinen Augen allerdings nicht die Verdienste des Bayerischen Rundfunks als Mittler zwischen der jüdischen und nicht-jüdischen Welt. Denn in vielen Kanälen und vielen Sendungen setzt der Bayerische Rundfunk in die Tat um, was Simon Snopkowski sel. A. so wichtig war: den Dialog zu suchen, Wissen lebendig zu halten und Brücken zu bauen.

Genau dies hat sich auch die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition zum Ziel gesetzt. Als Simon Snopkowski vor 35 Jahren die Gesellschaft gründete, war unser Land noch ein ganz anderes. Die jüdische Gemeinschaft in der alten Bundesrepublik war sehr klein. Berührungspunkte mit der nicht-jüdischen Umgebung gab es kaum. Es gab auch nicht allerorten jüdische Kulturfestivals. Dank der Gesellschaft gibt es die Jüdischen Kulturtage in München schon seit 30 Jahren. Genau solche Veranstaltungen sind es, die die Menschen verschiedener Religionen und Menschen, die gar keiner Religion angehören, einander näher bringen. Durch den persönlichen Kontakt lassen sich Vorurteile am besten abbauen. Noch besser ist es, wenn sie gar nicht erst entstehen.

Ich bin daher der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition sehr dankbar, dass sie sich seit einem so langen Zeitraum für diese Verständigung einsetzt. Gerade in Zeiten, in denen Parteien und neue Bewegungen versuchen, die Brücken wieder einzureißen. Vor allem die Brücken zu den Muslimen werden derzeit bedroht. Dagegen müssen wir uns wehren. Wir brauchen den Dialog. Wir müssen den Muslimen, die einen liberalen und aufgeklärten Islam vertreten, entgegengehen und sie stärken. Als jüdische Minderheit in diesem Land wissen wir nur zu gut: Brücken zur Mehrheitsgesellschaft sind unerlässlich.

Solche Brücken schlägt der Bayerische Rundfunk mit vielen, vielen Sendungen und Beiträgen. Und um auf den Anfang zurückzukommen: Er erfüllt damit Tugenden wie Weisheit, Klugheit, ja und manchmal auch Mut.

Zum Schluss möchte ich Ihnen ein weiteres Engagement des BR für das jüdische Leben nennen. Es ist ein Engagement, das Ihnen vermutlich bisher völlig entgangen ist. Wann immer ich von einem der vielen ARD-Hörfunksender aus der Republik um ein Interview gebeten werde, findet es im Studio des BR in Würzburg statt. Die Mitarbeiter dort kennen mich schon, und völlig unkompliziert husche ich schnell ins Studio und stehe dann dem RBB aus Berlin oder dem NDR aus Hamburg Rede und Antwort. Auf diese Weise trägt der Bayerische Rundfunk ganz praktisch zur bundesweiten Verbreitung der Ansichten des Zentralrats der Juden bei. Daher danke ich ganz persönlich dem BR für diesen Service und Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit!

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