Jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr 

Das Militärrabbinat

Die Bundesrepublik Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland haben im Dezember 2019 die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge vereinbart. Dieser Staatsvertrag wurde durch das Jüdische Militärseelsorgegesetz ratifiziert, das der Bundestag am 28. Mai 2020 verabschiedet hat.

Am 21. Juni 2021 hat der Zentralrat der Juden Rabbiner Zsolt Balla zum ersten Militärbundesrabbiner ernannt und feierlich in sein Amt eingeführt. Die Verwaltungsbehörde der Jüdischen Militärseelsorge, das Militärrabbinat, nahm Anfang Juli 2021 ihre Arbeit auf; sie war zunächst interimsweise in den Räumlichkeiten des Planungsamts der Bundeswehr untergebracht. Im März 2024 konnte das Militärrabbinat seine endgültigen Räumlichkeiten in der Johannisstraße 5-6 in Berlin unweit des Zentralrats der Juden beziehen.

 

Hintergrund

Erstmals nach rund 100 Jahren und 75 Jahre nach der Schoa werden nun wieder jüdische Soldatinnen und Soldaten im Dienste Deutschlands durch Rabbinerinnen und Rabbiner betreut. Bis dahin war es ein langer Weg: Nach dem Zivilisationsbruch der Schoa und der Nazi-Diktatur konnte es sich auch angesichts der Verbrechen der Wehrmacht kaum ein Jude vorstellen, in einer deutschen Armee Dienst zu tun. Trotz aller auch anerkannter Unterschiede zwischen Bundeswehr und Wehrmacht blieben jüdische Soldatinnen und Soldaten lange nahezu undenkbar.

Das hat sich mittlerweile geändert. 2006 waren die jüdischen Soldatinnen und Soldaten zahlreich genug, um sich im Bund jüdischer Soldaten zusammenzuschließen. Die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge wurde jahrzehntelang diskutiert und von zahlreichen Akteuren aus Bundeswehr und Politik unterstützt.

Der Abschluss des Jüdischen Militärseelsorgevertrages während des Gemeindestages des Zentralrates der Juden am 20. Dezember 2019 wurde durch die Konferenz zu Militärrabbinerinnen und -rabbinern in der Bundeswehr im April 2019 in Berlin forciert. Dabei diskutierten die knapp 150 Teilnehmer über das Militärrabbinat „zwischen Tradition und Herausforderung“, darunter viele Politiker, Bundestagsabgeordnete aller Parteien, Vertreter der Bundeswehr, Historiker und Juristen. Der Tagungsband ist im Online-Shop des Zentralrats erhältlich:
https://shop.zentralratderjuden.de/produkt/militaerrabbiner-in-der-bundeswehr/

 

Organisation

Grundlage der jüdischen Militärseelsorge ist ein im Dezember 2019 von der damaligen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und dem Zentralrat der Juden unterzeichneter Militärseelsorge-Staatsvertrag, der den Verträgen ähnelt, die die Bundesrepublik Deutschland mit der evangelischen und der katholischen Kirche abgeschlossen hat.

Die religiöse Leitung der jüdischen Militärseelsorge obliegt dem Militärbundesrabbiner (als Pendant zu den christlichen Militärbischöfen), der vom Zentralrat der Juden ernannt wird.

Zur Wahrnehmung der zentralen Verwaltungsaufgaben der Jüdischen Militärseelsorge wurde analog zum Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr und dem Katholischen Militärbischofsamt Mitte 2021 das Militärrabbinat in Berlin als direkt dem Bundesministerium der Verteidigung unterstellte Bundesoberbehörde eingerichtet. Das Militärrabbinat wird von der Leiterin bzw. dem Leiter des Militärrabbinats geführt, der bzw. die vom Bundesministerium der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Zentralrat der Juden ernannt wird.

Das Militärrabbinat beschäftigt bis zu zehn Militärrabbinerinnen und -rabbiner, die vom Militärbundesrabbiner vorgeschlagen werden. Da sie in den Bundeswehrstandorten in ganz Deutschland wirken sollen, werden die Militärrabbinerinnen und -rabbiner in den Außenstellen des Rabbinats in Leipzig für den Bereich Mitte, Köln für den Bereich West, München für den Bereich Süd, Hamburg für den Bereich Nord und Schwielowsee für den Bereich Mitte eingesetzt.

 

Was sind die Aufgaben von Militärrabbinerinnen und -rabbinern?

Entsprechend ihrer christlichen Pendants sollen die jüdischen Militärseelsorgerinnen und -seelsorger jüdische Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen im In- und Ausland begleiten und ihnen die Religionsausübung ermöglichen. Darüber hinaus stehen sie als Seelsorger allen Soldatinnen und Soldaten und deren Familien zur Verfügung, ganz unabhängig von deren Religionszugehörigkeit. Zudem wirken Militärrabbinerinnen und -rabbiner auch am sogenannten Lebenskundlichen Unterricht (LKU) mit. Der Lebenskundliche Unterricht ist ein wichtiger Bestandteil des Konzepts der Inneren Führung der Bundeswehr und wird in der Regel durch die Militärseelsorger erteilt. Er ist verpflichtend für alle Soldatinnen und Soldaten. Es handelt sich nicht um einen Religions-, sondern um einen Werteunterricht, bei dem es vor allem um die Stärkung des Demokratieverständnisses geht. Für die Militärrabbinerinnen und -rabbiner ist es eine wichtige Aufgabe, diesen Unterricht mitzugestalten, sowohl beim Curriculum als auch in der Lehrtätigkeit.
Nach den Worten der damaligen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist der Einsatz der Militärrabbinerinnen und -rabbiner auch „ein klares Zeichen gegen Rechtsradikalismus, gegen Antisemitismus in der Bundeswehr“.

 

Wie ist das Militärrabbinat strukturiert?

Militärbundesrabbiner Zsolt Balla ist das religiöse Oberhaupt der Jüdischen Militärseelsorge. Er wird vom Zentralrat der Juden ernannt und steht in keinem Beschäftigungsverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland. Die Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner sind ihm in religiösen Fragen direkt unterstellt. Dabei obliegt die religiöse Fachaufsicht dem Zentralrat der Juden.

Das Militärrabbinat mit Sitz in Berlin ist die zentrale Verwaltungsbehörde der Jüdischen Militärseelsorge und für die administrative Geschäftsleitung (z. B. Personal und Einkauf, Organisation etc.) zuständig. ist Als Bundesoberbehörde ist es direkt dem Bundesministerium der Verteidigung unterstellt. Die amtierende Leiterin ist Leitende Regierungsdirektorin Monika Heimburger.

Das Militärrabbinat beschäftigt insgesamt ca. 50 konfessionelle und nicht konfessionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon sind inklusive der zehn Militärrabbinerinnen und -rabbiner 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Außenstellen vorgesehen. Die restlichen ca. 20 Beschäftigten sind in der Zentrale in Berlin z.B. für die Bereiche Personal, Organisation, Seelsorge, Einsatz, Aus- und Fortbildung, theologische Grundsatzangelegenheiten etc. verantwortlich.

Aktuell sind fünf Militärrabbiner in den Außenstellen des Militärrabbinats tätig, Rabbiner Havlin und Ederberg in Hamburg für den Bereich Nord, Rabbiner Portnoy in Leipzig für den Bereich Mitte und die Rabbiner Nachama und Afanasev in Schwielowsee für den Bereich Mitte. Ab September 2024 wird voraussichtlich ein weiterer Rabbiner in der Außenstelle Köln (Bereich West) anfangen. Es fehlen somit noch insgesamt vier vornehmlich nicht orthodoxe Rabbinerinnen bzw. Rabbiner für die Außenstellen Leipzig, München und Köln.

 

In welchem Dienstverhältnis stehen Militärrabbinerinnen und -rabbiner?

Der Militärbundesrabbiner wird – analog zu den Militärbischöfen – vom Zentralrat der Juden ernannt und steht in keinem Dienstverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland.

Im Gegensatz dazu werden die Militärrabbinerinnen und-rabbiner auf Vorschlag des Militärbundesrabbiners vom Militärrabbinat eingestellt und damit zu Bundesbediensteten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Nach einer Erprobungszeit als Tarifbeschäftigte werden sie zunächst für sechs Jahre zu Beamten auf Zeit ernannt. Die Amtszeit kann einmalig um bis zu sechs Jahre verlängert werden. Diese Beschränkung ermöglicht, dass die Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner nach Beendigung ihrer Amtszeit wieder jüdischen Gemeinden zur Verfügung stehen.

Über eine Nebentätigkeit ist es grundsätzlich möglich, dass sich ein Militärrabbiner bzw. eine Militärrabbinerin auch während der Amtszeit weiterhin in einer jüdischen Gemeinde engagiert, sofern dies mit dem militärrabbinischen Dienst vereinbart werden kann. Um dies zu ermöglichen, kann beim Militärrabbinat auch ein Antrag auf Teilzeit gestellt werden.

Die weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ebenfalls Beamtinnen bzw. Beamte oder Tarifbeschäftigte des Militärrabbinats.

 

Warum gab es bisher keine jüdische Militärseelsorge bei der Bundeswehr?

Seit den Anfängen der bürgerlichen Gleichstellung im 19. Jahrhundert dienten jüdische Soldaten zunächst in den Armeen der deutschen Staaten und dann in der Armee des Kaiserreichs. Im Ersten Weltkrieg kämpften rund 100.000 deutsch-jüdische Soldaten. Etwa 12.000 jüdische Deutsche fielen. Beim deutschen Heer wurde zu Beginn des Ersten Weltkriegs das Feldrabbinat eingesetzt. Es sind etwa dreißig deutsche Feldrabbiner aus dieser Zeit bekannt – der bekannteste war Rabbiner Leo Baeck.

Mit dem aufkommenden Nationalsozialismus wurde diese Tradition beendet. Die Wehrmacht war aktiv an der Schoa beteiligt. Daher war es nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der Bundeswehr in den 1950er Jahren für die meisten Juden unvorstellbar, in einer deutschen Armee zu dienen. In der Bundesrepublik konnten sich junge jüdische Männer von der Wehrpflicht befreien lassen. In der Nationalen Volksarmee der DDR war eine solche Ausnahmeregelung nicht vorgesehen. In beiden deutschen Staaten stellte sich die Frage nach einem Militärrabbinat nicht.

 

Was bedeutet die Einrichtung eines Militärrabbinats für die Jüdische Gemeinschaft in Deutschland?

Militärrabbinerinnen und -rabbiner sind eine Chance für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Es ist davon auszugehen, dass das Angebot eines Militärrabbinats das Interesse an der Bundeswehr innerhalb der jüdischen Gemeinschaft steigern wird. Neben dem möglichen Freiwilligen Wehrdienst und dem beruflichen Engagement im militärischen oder zivilen Bereich wird auch das Studium an Einrichtungen der Bundeswehr attraktiver. Es ist im Interesse der Gesamtgesellschaft, wenn sich diese in der Zusammensetzung der Bundeswehr in Teilen widerspiegelt und auch Minderheiten verstärkt vertreten sind.

 

Wie werden die Militärrabbinerinnen und -rabbiner ausgesucht?

Die Auswahl der Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner erfolgt durch den Militärbundesrabbiner und den Zentralrat der Juden im Dialog mit der Orthodoxen (ORD) und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK). Es ist vorgesehen, dass es ein zahlenmäßig ausgeglichenes Verhältnis zwischen traditionellen Rabbinern sowie nichtorthodoxen Rabbinerinnen und Rabbinern geben soll. Entsprechende Stellenausschreibungen werden vom Zentralrat veröffentlicht. Nach der Auswahl folgt ein Vorschlag des Militärbundesrabbiners an das Bundesministerium der Verteidigung, das der Einstellung zustimmen muss. Der Abschluss des Arbeitsvertrages und die spätere Verbeamtung wird durch das Militärrabbinat vorgenommen.

Grundsätzlich müssen Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner

  1. ein mindestens dreijähriges Studium an einer staatlich anerkannten Hochschule absolviert oder eine vergleichbare Qualifikation erlangt haben,
  2. über eine vom Zentralrat der Juden in Deutschland anerkannte Smicha verfügen und
  3.  mindestens drei Jahre in einer jüdischen Einrichtung in rabbinischer Funktion tätig gewesen sein.

Bei Einverständnis zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Militärbundesrabbiner kann von den Erfordernissen der Nummer 1 und Nummer 3 abgewichen werden. Daneben müssen die beamtenrechtlichen Vorgaben des § 7 Bundesbeamtengesetz erfüllt sein.

Die Eignung der Kandidatinnen und Kandidaten steht im Vordergrund. Das Rabbinerseminar zu Berlin, das Abraham Geiger Kolleg sowie das Zacharias Frankel College haben bereits entsprechende Ausbildungsmodule für die Militärseelsorge in die Curricula eingebaut.

 

An welcher Schnittstelle von Religion und Staat bewegt sich die Jüdische Militärseelsorge?

Die Militärseelsorge ist ein ziviler Organisationsbereich der Bundeswehr. Wie ihre christlichen Pendants sind die Militärrabbinerinnen und -rabbiner Zivilisten. Im religiösen Auftrag sind die Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner im Rahmen der Halacha nur gegenüber dem Militärbundesrabbiner weisungsgebunden und insoweit von staatlichen Weisungen unabhängig. Sie tragen im Grundbetrieb Zivilkleidung. Im Einsatz werden Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner zwar von der Bundeswehr mit Uniformkleidung ausgestattet, diese stellt jedoch nur eine Schutzkleidung dar, da Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner keinen Dienstgrad erhalten. Das bedeutet, dass sie als Zivilisten in den Einsatz gehen.

Sie sind daher nicht in die Befehlskette der Bundeswehr eingebunden. Das ist notwendig, um ihre seelsorgerische Tätigkeit unabhängig und vertrauensvoll ausüben zu können. Die Militärrabbinerinnen und -rabbiner verfügen über das religiöse Schweigerecht.

 

Wie viele jüdische Soldatinnen und Soldaten gibt es in der Bundeswehr?

Die genaue Zahl jüdischer Soldatinnen und Soldaten, die gemeinsam mit den anderen 180.000 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr dienen, ist nicht bekannt und nicht ermittelbar, da die Angabe der Religionszugehörigkeit freiwillig ist.

 

Wird es ein Beit Din (Rabbinatsgericht) bei der Bundeswehr geben?

Es wird keine Militärgemeinden geben. Jüdische Soldatinnen und Soldaten bleiben Mitglieder ihrer Heimatgemeinde. Militärrabbinerinnen und -rabbiner vollziehen keine Hochzeiten, Scheidungen oder Übertritte zum Judentum. Die Klärung von Statusfragen bleibt den Batej Din (Rabbinatsgerichten) der Rabbinerkonferenzen unter dem Dach des Zentralrats der Juden vorbehalten.

 

Kontakt: Telefon: +40 (0) 30 585 955 4 230
E-Mail: mrb(via)bundeswehr.org
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